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Eine Bestandsaufnahme


Der Begriff „Künstliche Intelligenz“ (KI) wurde bereits in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts geprägt.  Damals wurden erste Ideen und Konzepte entwickelt, wie Maschinen menschenähnliches Denken nachahmen könnten. Lange Zeit danach passierte nichts Nennenswertes, bis die Thematik zu Beginn des neuen Jahrtausends mit dem Aufkommen großer Datenmengen und leistungsfähigerer Computer einen Aufschwung nahm. Die Fortschritte beim maschinellen Lernen, die Weiterentwicklung von Modellen und neuronalen Netzwerken wurden von Unternehmen unterschiedlichster Genres fortan genutzt und eingesetzt (z.B. Google/Suchalgorithmen, Amazon/ Empfehlungssysteme, Automobilhersteller/Fahrerassistenz-Systeme etc.). Damit drang KI immer weiter in das allgemeine Bewusstsein vor.


Seit Beginn der 2010er Jahre bedient sich auch die Fotografie der KI, sowohl direkt in der Kameratechnik, als auch bei der Bildbearbeitung. Anfänglich war es möglich, Teilaspekte wie  Belichtung, Kontrast oder Farbbalance automatisiert anzupassen und zu optimieren. Bald aber wurde die KI-gesteuerte Bilderkennung und -bearbeitung immer komplexer, so dass inzwischen nur einige wenige Klicks nötig sind, um Objekte zu entfernen, die Tiefenschärfe anzupassen, Motive zu erkennen, Masken zu erstellen, Himmel auszutauschen oder Fotos komplett zu verfremden. Auch Programme für die Organisation und Verwaltung von Fotos arbeiten zunehmend  KI-gestützt und ermöglichen es, Fotos anhand von Schlagworten immer präziser aus riesigen Datenmengen ausfindig zu machen und zu katalogisieren. So integrierte sich KI langsam aber sicher in den Workflow vieler Fotografen, ohne dass dieser technische Fortschritt großartig infrage gestellt worden wäre, wenngleich einige bereits zu diesem Zeitpunkt anmahnten, die persönliche, kreative Note ginge durch Automatisation und Standardisierung bei der Bildbearbeitung verloren.



KI-Technik ist neuerdings jedem zugänglich


Was allerdings in den vergangenen 12-15 Monaten in Sachen KI-Entwicklung passierte, hat die Fotografie-Community dann doch in Aufregung versetzt. Seitdem nämlich ist es jedem möglich (Stichwort „Open Source“, d.h. öffentlich zugänglich), mithilfe von Programmen wie Midjourney, Stablediffusion, DALL E, Starry AI, Wonder, Supermachine, Blue Willow oder Dreamstudio, um nur einige von vielen zu nennen, Fotos komplett künstlich zu generieren.  Durch die Eingabe textbasierter Anweisungen, sogenannter Prompts, werden Fotos aber nicht nur generiert, sondern die KI-Modelle gleichzeitig trainiert (maschinelles Lernen). Mit jedem Prompt also, d. h. mit jeder spezifischen und klar definierten Anweisung, wird die KI genauer, effektiver, besser.

Wer sich bereits im vergangenen Jahr direkt an dieser Technik versuchte und begann, mit KI-Programmen zu arbeiten, war mit den bildlichen Ergebnissen anfangs sicher nicht zufrieden, denn Midjourney und Co. waren ja gerade erst „geboren“ und mussten noch lernen. So wiesen künstlich generierte Personen nicht selten sechs Finger oder drei Arme auf, oder die Umrisse menschlicher Körper verloren sich in amorphen Gebilden..


Auch Szenarien wie Städte oder Landschaften wirkten durch fehlende oder falsche Spiegelungen und Schattenwürfe zunächst noch sehr künstlich und konnten ohne weiteres als solche entlarvt werden. Doch mit jeder Woche, die die Programme auf dem Markt zur Verfügung standen, verbesserten sich deren Ergebnisse.

Nach und nach wurden Artefakte (Störungen im Bild) eliminiert und die Fotos immer realitätsgetreuer. KI generierte Aufnahmen waren - wenn man nur lange genug übte - nicht mehr oder nur sehr schwer von herkömmlichen Fotografien zu unterscheiden.



Boris Eldagsen, "PSEUDOMNESIA | The Electrician", promtography, 0222, courtesy Photo Edition Berlin



Ein KI-Foto gewinnt einen Sony World Photography Award


Das musste auch die Jury der Sony World Photography Awards erfahren, als sie im März 2023 dem deutschen Fotografen Boris Eldagsen nichtsahnend einen ihrer renommierten Preise für ein KI-Foto verlieh (siehe oben).

Eldagsen allerdings düpierte die Veranstalter bei der Preisverleihung.  Er lehnte die prestigeträchtige Auszeichnung ab und forderte stattdessen eine öffentliche Debatte über den Einsatz und die Risiken künstlicher Intelligenz in der Fotografie.

Damit nahm der öffentliche Diskurs endgültig Fahrt auf und inzwischen beschäftigt sich tatsächlich jede mediale Plattform mit diesem Thema (siehe dazu verschiedenste Podcasts, u.a.: Deutschlandfunk, „KI verstehen“; mehrere Episoden von „Fotografie neu denken“ von Andy Scholz; ARTE: diverse Dokumentationen zum Thema KI und Kunst, YouTube: „KI in der Fotografie“ u.v.m.).



Chancen und Risiken von KI


Die Foto-Community zeigt sich bei diesem Thema gespalten: während ein Teil die technologischen Veränderungen angenommen hat und KI als zusätzliches Werkzeug auf einer neuen Spielwiese nutzt (siehe dazu: Podcast „dieMotive“ v. 31. 12. 2022, Disput zwischen Alexander Hamann und Boris Eldagsen über künstlich generierte Bilder, Fotografie und Kunst), reagiert der andere, weit größere Teil,  eher verängstigt und ablehnend und fürchtet den Untergang des (fotografischen) Abendlandes. Warum?


Zuallererst geht es um den drohenden Verlust von Arbeitsplätzen, der besonders die Dienstleistungs-Fotografie treffen wird, aber eigentlich schon längst getroffen hat. In der Produktfotografie beispielsweise hat schon seit längerem ein Verdrängungsprozess begonnen, bei dem Computer-Renderings von Architektur, Möbeln oder Automobilen die Arbeit professioneller Fotografen ersetzen; durch Einsatz von KI gelingen diese jetzt noch besser, schneller und damit kosteneffizienter; ähnliches gilt für die Stockfotografie. Andere fotografische Dienstleister wie Hochzeitsfotografen können sich dagegen (noch) auf der sicheren Seite wähnen, ist es doch schwer vorstellbar, dass Paare ihre Hochzeitsfotos künstlich generieren lassen.

Der Einsatz von KI wird aber nicht nur ganze Berufssparten überflüssig machen und ablösen, sondern wirft auch ethische Fragen auf, denn ursprünglich stand die Fotografie ja für die Abbildung von Realität, für Authentizität. Aber genau diese Authentizität muss nun immer öfter infrage gestellt werden. Das Schlagwort lautet „Deepfakes“ (Kofferwort aus den Begriffen Deep Learning und Fake), täuschend echt wirkende Bilder (aber auch Audio- oder Videoaufnahmen), die mit KI manipuliert bzw. gefälscht werden und das Potenzial dazu haben, zu irritieren, zu täuschen, zu diffamieren und zu betrügen. So ist beispielsweise der Bildjournalismus ein weites Feld, auf dem Deepfakes zum Einsatz kommen können, aber auch die Social Media, der Kunstmarkt und v.a.m.;  die Anwendungsmöglichkeiten scheinen gleichermaßen grenzenlos wie bedrohlich. Wie aber lässt sich authentisches Bildmaterial von manipulierten Inhalten unterscheiden und das Vertrauen der Öffentlichkeit in Fotografien bewahren?



Der Wettlauf zwischen Hase und Igel


Momentan erinnert die Situation ein wenig an den Wettlauf zwischen Hase und Igel. Genügte es anfänglich noch, sich Fotos etwas genauer anzuschauen, um Artefakte zu finden und den Einsatz von KI nachzuweisen, so wird es durch das „ständige Lernen“ der KI immer schwieriger, die Künstlichkeit mit bloßem Auge festzustellen. Auch die Bildforensik,  die wissenschaftliche Überprüfung und Analyse digitaler Bilder, stößt immer öfter an ihre Grenzen. Aus diesem Grund hatten Adobe, Twitter und die New York Times bereits 2019 die CAI (Content Authenticity Initiative) gegründet, mit dem Ziel, einen internationalen Standard für Metadaten einzuführen, um die Herkunft von Bilddateien zu bestimmen und so für Transparenz zu sorgen. Wenig später hatte sich neben Nikon auch der deutsche Kamerahersteller Leica dieser Initiative angeschlossen der unlängst, im Oktober 2023, als erster Kamerahersteller weltweit, eine Kamera (M 11 P) auf den Markt brachte, die jede Aufnahme mit einer fälschungssicheren digitalen Signatur versieht (Content Credentials).  Der Inhalt dieser Signatur soll über Open-Source-Tools für jeden einsehbar bzw. auslesbar sein, so dass Herkunft und Art der Entstehung der Bild-Dateien nachvollzogen werden können. Sicher ein weiterer Schritt, um den Missbrauch von KI in der Fotografie zu verhindern und kreative Arbeit zu schützen. Ob und wie lange dieser Vorsprung gehalten werden kann, bis die KI vielleicht auch dieses Hindernis umgeht, bleibt abzuwarten. Das Rennen ist in vollem Gange…


Sicher gibt es neben den o.a. Aspekten noch viele weitere Gründe, um KI kritisch gegenüberzustehen. Nichtsdestotrotz können wir uns dieser Technologie nicht verschließen. Besser sollten wir uns mit ihr auseinandersetzen und versuchen, uns zu positionieren. KI ist längst unter uns (s.o.) … und wird auch bleiben. Ähnlich wie seinerzeit die digitale Kameratechnik ihren analogen Vorgänger (fast vollständig) vom Markt verdrängte, so wird auch KI ihren Platz in der Fotografie finden und sich behaupten. Boris Eldagsen äußert sich dazu im oben zitierten Podcast sogar noch deutlicher: „Sie (die KI) ist kein heißer Scheiß. Sie ist eine Revolution, sie ist disruptiv (ein System zerstörend).“

Aber selbst wenn das so sein sollte, wird es nicht den Untergang der Fotografie bedeuten. Nach wie vor haben wir die Möglichkeit das zu tun, was den meisten unter uns - und damit spreche ich vor allem für die Hobbyfotografen unter den Lesern des Le Magazine - das größte Vergnügen bereitet, nämlich rauszugehen, Motive zu suchen, Bilder zu komponieren und auf den Auslöser zu drücken. Professionellen Fotografen allerdings weht natürlich ein anderer Wind entgegen. Als Teil einer kreativen Szene muss und wird es ihnen aber möglich sein, kreative Antworten auf die mit KI verbundenen Herausforderungen zu finden. Wie so etwas funktionieren kann, demonstriert gerade die Amsterdamer Galerie „Dead End Gallery“ (Instagram: @deadendaigallery). Sie ist weltweit die erste Galerie für KI-Kunst. Ihre beiden Betreiber, Paul Bookelman und Constant Brinkman, nutzen KI, um fiktive Künstler ins Leben zu rufen, die ihrerseits wiederum KI-Kunstwerke in unterschiedlichsten Bereichen (Abstrakte Kunst, Fotografie etc.) generieren. Sie räumen ihren „Künstlern“ dabei höchste Autonomie ein und lassen sie sogar Auflagenstärke und Preise ihrer Werke selbst bestimmen.

Die Zukunft hat längst begonnen.


Dieser Beitrag wird in "Le Magazine", Ausgabe #8 veröffentlicht. Das Heft kommt am 15.12.23 heraus und ist ab sofort auf lemagazine.de oder per mail unter le.magazine@gmx.de zu bestellen.





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Im März 2022 treten wir einen schon länger geplanten 14-tägigen Kuba-Urlaub an, den wir aus Gründen immer wieder verschieben mussten. Dabei gibt es zwischen meinem Mann und mir den Deal, dass ich – als enthusiastische Hobby-Fotografin – die erste Hälfte der Reise in den Städten Havanna und Trinidad ausgiebig fotografieren darf. Im Anschluss daran wird die zweite Hälfte des Urlaubs einem erholsamen Strandaufenthalt vorbehalten sein. Natürlich haben wir uns auf den kulturellen Teil der Reise vorbereitet (Reiseführer, Google, YouTube-Videos) und sind zusätzlich durch unseren Reiseveranstalter mit einschlägigem Info-Material versorgt worden. Landläufig bekannt ist Kuba für seine Zuckerrohrplantagen, besten Rum, legendäre Zigarren, pastellfarbene Häuser und amerikanische Oldtimer aus den 50er-Jahren. Was wissen wir noch?


Kuba – Ein historischer Abriss


Die karibische Insel wird 1492 von Kolumbus entdeckt, 20 Jahre später von Velazquez erobert und spanische Kolonie. Daran ändert sich 400 Jahre lang nichts. Am Ende des 19. Jahrhunderts führen die Kubaner zwei Unabhängigkeitskriege; in den zweiten Krieg mischen sich die USA aufseiten Kubas ein, besiegen die Spanier und vertreiben sie von der Insel. Nach vierjähriger amerikanischer Militärverwaltung wird Kuba 1902 formal in die Unabhängigkeit entlassen. Die Amerikaner sichern sich allerdings politische als auch wirtschaftliche Eingriffsrechte, von denen sie in der Folgezeit reichlich Gebrauch machen. Unter Präsident Batista, der seit 1952 ein diktatorisches Regime auf Kuba anführt, formiert sich Widerstand innerhalb des kubanischen Volkes. Eine Revolutionsbewegung, die von Fidel Castro angeführt wird, hat den Sturz des Diktators zum Ziel. Batista flieht am 1. Januar 1959, woraufhin Fidel das Amt des Ministerpräsidenten übernimmt und gemeinsam mit seinem Bruder Raúl und dem argentinischen Berufsrevoluzzer Chez Guevara einen sozialistischen Staat installiert. Sie enteignen und verstaatlichen u.a. US-Besitz, woraufhin die USA Kuba mit einem Handelsembargo belegen, das bis zum heutigen Tag Gültigkeit hat und unter dem vorrangig die kubanische Bevölkerung leidet.

Die Geschichte Kubas, dessen Geschicke zunehmend mit der ehemaligen Sowjetunion verknüpft sind, steht seitdem immer wieder im Brennpunkt der Weltöffentlichkeit (Schweinebucht-Invasion, Kubakrise). Seit Auflösung der UdSSR zu Beginn der 90er-Jahre und dem damit verbundenen Ende der wirtschaftlichen Hilfe des großen sozialistischen Bruders, befindet sich Kuba in einer permanenten Wirtschaftskrise. Der Annäherung zwischen Kuba und den USA unter Obama und den damit verbundenen Lockerungen des Embargos erfolgt unter Donald Trump eine erneute Verschärfung der Beziehungen. Was das für die aktuelle Situation im Land und das alltägliche Leben tatsächlich bedeutet, davon können wir uns nun ein eigenes Bild machen.



Es geht los – das Abenteuer beginnt in Havanna


Mitte März also landen wir in Varadero. Von Besuchen der DDR in den 80er-Jahren wissen wir, dass es bei der Einreise in einen sozialistischen Staat durchaus penibel zugehen kann und wundern uns nicht über mehrmalige Kontrollen an Leib und Gepäck. Nachdem das überstanden ist, haben wir einen mehrstündigen Transfer direkt nach Havanna und kommen dort, mitten in der Altstadt, in einer privaten Casa Particular (vergleichbar mit einem Bed & Breakfast) unter. Der Familie, die ihre privaten Räumlichkeiten an Touristen vermietet, können wir mit aus Deutschland mitgebrachten Toilettenartikeln und Süßigkeiten eine kleine Freude bereiten.


Bereits unser erster Spaziergang durch die Altstadt Havannas, der uns vorbei an baufälligen Häusern und über teilweise ungeteerte Straßen führt, offenbart den desolaten Zustand der Hauptstadt Kubas. Uns passieren natürlich auch die legendären Oldtimer, die mal mehr, mal weniger gut restauriert sind. Doch überwiegend sind die Einwohner auf klapprigen Fahrrädern oder zu Fuß unterwegs, in Klamotten, die ihre beste Zeit schon lange hinter sich haben und bepackt mit Einkäufen, die meist aus Wasserkanistern und Gemüsebergen bestehen. Es ist das, worauf sich das Kaufangebot zu beschränken scheint, denn auf der Calle Obispo, der Haupteinkaufsstraße, verlieren sich unsere Blicke in leeren Schaufensterauslagen von Bekleidungs-, Schuh- oder Elektronikgeschäften. Auch Apotheken, Bäckereien und andere Läden des täglichen Bedarfs offenbaren leere Regale. Gibt es dort etwas zu kaufen, bilden sich binnen weniger Minuten meterlange Schlangen. Ein Anblick, den wir in unserer westlichen Überflussgesellschaft nur aus Bildbänden der Kriegs- und Nachkriegszeit kennen. Es gibt so viel Außergewöhnliches zu entdecken – Havanna ist die pure Reizüberflutung und unter den ungewohnten klimatischen Bedingungen übrigens auch körperlich eine große Herausforderung.


Beeindruckende Gegensätze


Die kubanische Hauptstadt beeindruckt mit faszinierenden Gegensätzen: auf engstem Raum wechseln sich prachtvoll restaurierte Kolonialbauten und vollkommen verfallene Bausubstanz ab, fahren schicke Cadillacs, Pontiacs und Buicks neben verrosteten Fahrrädern und Handkarren, strahlen bunte Farben unter der karibischen Sonne besonders intensiv, viele andere Motive sind vom Straßenstaub verdreckt und bedeckt. Für uns offenbart sich allerdings der größte Gegensatz zwischen der maladen wirtschaftlichen Situation, in der sich die Menschen hier befinden und ihrer Offenheit und Fröhlichkeit, die sie trotzdem ausstrahlen. Am späten Nachmittag und Abend kann man sie beispielsweise an der berühmten Küstenpromenade, dem Malecon und über die Plaza Vieja flanieren sehen und die, die es sich leisten können, nehmen sogar einen Drink in den umliegenden Bars oder Restaurants und wenn die Sonne untergeht, wird gesungen und getanzt.

Havanna’s Bewohner scheinen sich mit der Mangelwirtschaft arrangiert zu haben und versuchen das Beste aus Nichts zu machen.

Diesen Eindruck macht auf uns auch unser Taxifahrer Nelson, der uns ein paar Tage später für umgerechnet 40 EUR in das 300 km entfernte Trinidad bringt. Er spricht ein ordentliches Englisch und beantwortet bereitwillig unsere Fragen. Im wirklichen Leben ist er eigentlich Rechtsanwalt, hat diesen Beruf allerdings gegen den Job des Taxifahrers eingetauscht, um mehr Geld für sich und seine sechsköpfige Familie verdienen zu können. Und tatsächlich scheint das Taxi-Geschäft nicht schlecht zu laufen, denn er ist tadellos, fast elegant gekleidet und sein weißes Oberhemd hat sogar Bügelfalten. Während unseres vierstündigen Transfers offenbart er uns, dass sein “Plan” der Lotto-Gewinn in Form einer Green-Card für die USA sei, die ihm dort eine unbefristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis garantiert (die Chancen dafür, ich habe gegoogelt, stehen übrigens mit 1:25 bis 1:75 viel besser, als man bei dem Begriff Lotterie vermuten würde).

Am frühen Nachmittag erreichen wir Trinidad, die nächste Station unserer kleinen Rundreise. Wir verabschieden uns von Nelson und wünschen ihm alles Gute und viel Glück im Lotto – er wird es benötigen können.


Trinidad


Auch in Trinidad, das an der zentralen Südküste Kubas liegt, wohnen wir wieder in einer Casa Particular, werden auch hier sehr herzlich und zuvorkommend aufgenommen und beherbergt. Von unserer Unterkunft aus erreichen wir in nur wenigen Minuten das Zentrum und die Sehenswürdigkeiten rund um die Plaza Major, die noch heute von der Pracht der Kolonial-Perle Trinidad zeugen. Trotz vermeintlich kurzer Wege legen wir aber auch hier auf unseren täglichen Fotowalks weit über 10 km zurück; es gibt einfach zu viel zu sehen und zu entdecken. Als ehemals drittgrößte Stadt Kuba’s verdankte Trinidad seinerzeit ihren Reichtum dem Zuckerrohranbau und Sklavenhandel und zählte bis Mitte des 19. Jahrhunderts sogar zu den bedeutendsten Zuckermetropolen der Insel. Inzwischen ist sie, wirtschaftlich gesehen, in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, wirkt aber aufgrund ihrer gut erhaltenen Kolonialarchitektur als großer Touristenmagnet. Obwohl die Straßen belebt und vor allem das Zentrum gut besucht ist, wirkt Trinidad, im Gegensatz zum Moloch Havanna, beschaulich, aufgeräumt und gediegen.



Neben dem Treiben auf den Haupt- und Nebenstraßen finde ich diesmal hauptsächlich auf dem Wochenmarkt der Stadt unzählige Fotomotive. Wir besuchen außerdem eine kleine Kaffeeplantage sowie eine winzige Hazienda, auf der – für Touristen extra aufbereitet – die ehemals aufwendige und körperlich sehr anstrengende Zuckergewinnung demonstriert wird. Ich fotografiere, bis der Auslöser glüht und habe nach einer Woche Kuba bereits über 2500 Fotos geschossen – eine überwältigende Ausbeute!


Die Belohnung – Cayo Santa Maria


Am achten Tag unserer Reise verlassen wir Trinidad und kehren zurück an die Nordküste Kubas. Die letzte Station unseres Roundtrips ist die kleine Insel Cayo Santa Maria, gelegen inmitten eines Naturschutzreservates, auf der nun Strand- statt Stadtspaziergänge auf der Tagesordnung stehen. Darauf freut sich besonders der beste Ehemann von allen, der bis dato mein Hobby, trotz schwül-warmer Temperaturen von permanent über 30 Grad, geduldig unterstützt und ertragen hat. Hier auf Cayo Santa Maria, einem kleinen Eiland, das den ausländischen Touristen vorbehalten ist, nimmt unser kubanisches Reise-Abenteuer sein Ende und entlässt uns in eine gewohnte Urlaubswelt: Hotels mit westlichem Standard, was Unterbringung, Verpflegung sowie Unterhaltung betrifft. Außergewöhnlich allerdings sind der weitläufige Naturstrand und die über einen normalen Service hinaus gehende Gastfreundschaft der einheimischen Hotelangestellten. Die Tage am Strand vergehen leider viel zu schnell und Ende März 2022 treten wir vom internationalen Flughafen in Varadero aus wieder unsere Heimreise an. Inzwischen laufen nicht nur meine optischen Speicherkarten über, sondern auch unsere emotionalen Eindrücke. Sie liegen außerhalb jeder Norm und sind so vielfältig und immer noch so intensiv, dass wir den Vorsatz fassen, dieser besonderen Insel baldmöglichst einen weiteren Besuch abzustatten.




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